Ich - oder wie alles anfing ...
VON UND ÜBER RODERICH FABIAN
1972
"Wir saßen in der Korova-Milchbar und tranken die gute alte Moloko-Plus mit Messern drin. Wir wollten uns entspannen vom Tollschocken, Ladenkrasten und einem bißchen schmutzigen Zwanzig gegen Einen. Denn wisset, wenn am Himmel die Sonne untergeht, beginnt für die Droogs der Tag! Oh, Ihr lieben Freunde, plötzlich fingen die Messer in unseren Bäuchen an zu pieken und wir fühlten uns bereit für ein kleines bißchen Horrorshow..."
1972 saßen Christian und ich in der dritten Reihe links im Eldorado-Kino und dachten uns: "Was für ein feines Filmchen das doch ist!". Wir sind aber danach nicht ins nächste Hutgeschäft gegangen und haben uns Melonen gekauft, und auch Schlagstöcke wurden nicht besorgt, weil Christian und ich ja immerhin noch ´was anderes vorhatten in unserem Leben, als unsere schöne Jugend in Umerziehungsknästen zu verbringen. Wir konnten uns also beherrschen, aber ein kleines bißchen Horrorshow, das wollten wir dann schon haben (und haben wir dann - allerdings meistens anders als gewünscht - auch immer mal wieder bekommen...)
1972 saßen Christian und ich in der Olympiahalle und warteten auf den Auftritt von Emerson, Lake & Palmer. Die versprachen nämlich eine riesengroße Horrorshow: Keith Emerson - so munkelte man - sollte sich mit seinem Synthesizer auf dem Boden wälzen beim Kampf gegen das grimme Tarkus-Monster usw. Die Musik war zwar nicht so ganz nach unserem Geschmack, aber immerhin: "Knife Edge" vom ersten Album, das klang doch sehr gefährlich...
Jedenfalls mussten wir lange warten: Christian mit seinem original australischen Buschhut und ich mit meinem weißen, mit Fake-Pelz besetzten Ledermantel, der natürlich nur noch dem ersten Anschein nach weiß war. Und während wir so da saßen und die wundervollen Hippie-Mädchen bewunderten, die alle schon mindestens 18 und also unerreichbar waren, da ließ der Hallen-Techniker eine Cassette mit einer nagelneuen Platte laufen: Darauf waren wilde und graziöse, auf jeden Fall schwer zu Herzen gehende Lieder, von Sufragetten-Städten und von Fünf Jahren, die der Menschheit noch beschieden waren, und Madame Sternenstaub sang ihr Lied von Dunkelheit und Schande... Der Auftritt von Emerson, Lake and Palmer war danach doch ein sehr vergängliches Vergnügen.
Gleich am nächsten Tag bin ich mit der S-Bahn in die Stadt gefahren und habe bei "Montanus" die Platte gekauft, um dann sofort wieder in die S-Bahn zu steigen und zurück zu fahren. Ich hatte nämlich sonst nichts in der großen Stadt zu tun. Leider kam dann in Laim ein Kontrolleur des Münchner Verkehrs-Verbundes. Ich aber hatte mein ganzes Geld schon in diese schöne Schallplatte investiert. So musste ich ausgerechnet im garstigen Laim aussteigen und meine Daten zu Protokoll geben. Bei Geburtsdatum gab ich an: "Heute", denn es war doch ausgerechnet mein Geburtstag. Aber das hat den Kontrolleur nicht milder gestimmt. Und wahrlich, ich sage euch, das war nicht der Beginn einer Liebesgeschichte mit dem Münchner Verkehrs-Verbund.
Aber die schöne Platte lief von diesem Tag an immer und immer wieder rund auf meinem Plattenspieler von - natürlich - der Firma "Dual".
1972 sind Christian dann nach Frankfurt getrampt. Es war ein sehr heißer Tag im August. Wir haben viele, viele Cola-Dosen getrunken, weil wir gar nicht so oft Autos gefunden haben, die uns mitnehmen wollten. Kein Wunder: Wer möchte schon einen reichlich befleckten Ledermantel- und einen australischen Buschhut-Besitzer in seine Privatsphäre hineinlassen. Schließlich sind wir aber doch noch im Frankfurter Uni-Viertel gelandet. Dort war ein Festival im Gange, schwer politisch motiviert. Und alle diese politischen Anliegen, die die Leute da so vorbrachten, diese Anliegen waren auf jeden Fall auch die unseren, auch wenn ich mich heute nicht mehr genau daran erinnern kann, worum es genau ging. Es war eher die Tatsache, dass die Leute alle so ähnlich aussahen wie wir und auch die gleichen Konsumgüter wie wir bevorzugten. Das war ein in jeder Beziehung feucht-fröhliches Fest. Ganz spät spielte in irgendeinem Vorlesungssaal eine Gruppe, die deutsche Texte sang, die wieder genau diese Anliegen plakativ und punktgenau zu Gehör brachte. Die Gruppe kam aus Berlin und hatte einen Sänger, den der Musik-Express damals eine "Rock-Röhre" genannt hätte, aber es hat mir doch nicht recht gefallen, weil ich deutsche Texte nicht hören wollte, sondern eher englische mit Suffragetten und Sternenstaubdamen. Übernachtet haben wir auf dem Fußboden irgendeines Seminar-Raumes. Leider kam morgens um acht die Polizei, so dass keiner ausschlafen konnte, und alle "rrraus" mussten. Das Zurück-Trampen hat dann wieder ewig gedauert.
1972 - das war vor dreißig Jahren, und danach haben sich die Vorlieben in meinem Leben nicht mehr wesentlich verändert. Christian hat übrigens kürzlich das erste Mal in seinem Leben eine Festanstellung angenommen. Wenig später hat er kreisrunden Haarausfall bekommen. "Na siehste", habe ich ihm da geschrieben.